Die 11. Tagung zur Genossenschaftsgeschichte war mit fast 80 Teilnehmern die bisher am besten besuchte. Eine weitere Besonderheit war, das es sich bei den Referenten überwiegend um Zeitzeugen handelte, die das Geschehen zum Teil an zentraler Stelle miterlebt und -gestaltet hatten. Der Grund liegt darin, dass der Untergang der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft, als deren Teil die coop AG gesehen wurde, bis heute kaum wissenschaftlich aufgearbeitet wurde. Die Veranstalter erhoffen sich, dass die Tagung dazu Anstöße gibt.
Am Abend des ersten Tagungstages wurde der wdr-Film „Kollege Otto“ von 1991 gezeigt, der in hervorragender Weise, soweit es damals möglich war, die Geschichte der coop AG aufrollt, ohne dabei zu einem abschließenden Resümee zu kommen. Fünf der Protagonisten, die in dem Film auftraten, waren als Referenten an der Tagung beteiligt. Der Verlauf zeigte, dass es in den Einschätzungen nach wie vor tiefe Gegensätze gibt.
Das Referat von Jan Wiedey aus Wien über den Untergang von Konsum Österreich Mitte der neunziger Jahre zeigte erstaunliche Parallelen zu den Entwicklungen in Deutschland auf. Nach Zerschlagung zahlte Konsum Österreich im Durchschnitt an die Gläubiger eine Quote von über 70% aus, wohl ein einmaliger Fall. Wiedey bezeichnete ihn, leicht sarkastisch, als die erfolgreichste Insolvenz in Österreich.
Heftiger Streit entbrannte bezüglich der coop AG über die Rolle der Banken, insbesondere der DG-Bank und der BfG. Es wäre hilfreich, genauer zu wissen, in welchem Umfang die Banken bei der coop AG tatsächlich Geld verloren haben oder ob es sich, wie es vertreten wurde, um ein „unfriendly takeover“, um eine geplante Zerschlagung handelte. Schade dass Dr. Bernd Otto absagte. Er hätte sicher interessante Informationen beitragen können. Der Bilanzdirektor der coop AG, Dr. Klaus-Peter Schröder-Reinke, hatte die Erfahrungen aus dem Untergang der coop AG zu einem Lehrbuch über die feindliche Übernahme von Unternehmen verarbeitet, für das er jedoch keinen Verleger fand. Ihm wurde geraten, die coop-Geschichte zu einem Roman umzuarbeiten, aus dessen unveröffentlichtem Manuskript er vortrug.
Als sehr vorläufige Quintessenz wurde am Ende der Tagung festgehalten, dass konsumgenossenschaftliche oder vergleichbare Unternehmen sich nicht darauf verlassen können, dass bei ihnen dieselben Maßstäbe angelegt werden, wie auf dem kapitalistischen Markt üblich, weshalb sie in besonderer Weise Transparenz in ihrer Geschäftsführung sicherstellen müssen. Auch könne man die Lehre ziehen, dass es für solche Unternehmen gefährlich werden kann, wenn sie sich zu sehr in die Abhängigkeit von den Banken begeben.
Dass der Untergang der ehemaligen Konsumgenossenschaften nicht naturnotwendig war, wurde deutlich an dem Referat von Dr. Giuliana Giorgi (Berlin) über die erfolgreichen italienischen Genossenschaften, die Marktführer sind, und an dem Überblick über Westeuropa durch Mag. Florian Jagschitz aus Wien, der dabei insbesondere auf die guten Entwicklungen in der Schweiz, in Finnland, Schweden, Dänemark und Großbritannien hinwies.
Bericht von
Dr. Burchard Bösche
Vorstandsmitglied der
Heinrich-Kaufmann-Stiftung